Saatgut
Vielleicht hat sich die eine oder der andere beim Auschecken an der Kasse des Gartencenters bei der alljährlichen Saatgutbeschaffung schon mit dem Gedanken getragen, die Saatgutgewinnung zukünftig in die eigenen Hände zu nehmen. Denn es kommt ja doch immer ein stattliches Sümmchen zustande.
Vielleicht hat aber auch ein Beitrag im Netz zum Nachdenken angeregt. Dort wurde dann vom Aussterben alter Sorten berichtet und von dem teuflischen Plan großer Konzerne, der darauf abzielt, dass sich die Menschheit nur noch von gen-manipuliertem, geschmacklosem Einheitsgemüse zu ernähren hat.
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Vielleicht sind Sie aber auch nur auf der Suche nach einem neuen Hobby und wollen ihr Glück mit dem Züchten von Tomaten probieren. Was auch immer die Gründe sind, ohne ein solides Basiswissen ist das Vermehren von samenfestem Saatgut schwierig und das Züchten von Saatgut ohne die entsprechenden Voraussetzungen an Platz und Geräten für den Hobbygärtner schier unmöglich.
Gemüsesamen selbst zu vermehren, ist auch für Laien zu bewerkstelligen. Allerdings ist das bei einigen Gemüsearten sehr viel leichter als bei anderen. Werden gewisse Vorkehrungen missachtet, kann das Ergebnis ernüchternd sein. Oft lohnt sich der Aufwand gegenüber gekauftem Saatgut nicht.
Wie entsteht ein Samen?
Die Samen, die wir aus den bunten Tütchen kennen, sind nichts anderes als pflanzliche Embryonen, die auf ihre Aktivierung warten. Entstanden sind sie bei der Befruchtung (meist durch Bestäubung) einer Eizelle mit einer Keimzelle. Dort sind sie dann durch Zellteilung weiter gewachsen bis zum Samenkorn.
Für unsere Betrachtungen ist eine detailliertere Beschreibung von Blütenaufbau und den einzelnen Blütenbestandteilen nicht erforderlich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur, dass in einem Samenkorn die genetische Veranlagung von zwei Elternpflanzen vorhanden ist, welche die späteren Merkmale der Nachfolgegeneration ausmachen (F1 – Generation).
Diese Merkmale sind auf den Tütchen von zugelassenen Saatgut-Herstellern vermerkt. Wenn man dieses Saatgut entsprechend der Anleitung in Anzuchterde ausbringt, erwachsen mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Samen Pflanzen mit eben diesen Merkmalen. Bei Aussaat ins Freiland sind auch noch die Standortvoraussetzungen angegeben.

Bei selbst vermehrtem Saatgut ist die Elternschaft oft fragwürdig, wenn man nicht die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen trifft. Was bedeutet, dass die Merkmale der F1-Generation ebenfalls fragwürdig ausfallen können. Leider kann man dies erst Monate später feststellen.
Das Risiko hierbei nennt sich Verkreuzung. Das Gemüse, das bei uns tagtäglich auf dem Tisch landet, stammt von teilweise über Jahrhunderte hinweg kultivierten Pflanzen, gezüchtet aus einer Wildform. So stammen alle Kohlarten wie Weißkohl, Rotkohl, Wirsing, Rosenkohl, Blumenkohl, Grünkohl und so weiter von einer einzigen Wildform ab. Es wurden lediglich einzelne Pflanzenbestandteile wie Blüten oder Blätter vereinzelt herausgezüchtet.
Würde man einen Kohlkopf (zweijährig) im Boden belassen und er würde den Winter schadlos überstehen und im zweiten Jahr nach seiner Aussaat anfangen zu blühen, könnte er zur Blütezeit mit allen möglichen Kohlarten im Umkreis von einem Kilometer eine Fernbeziehung via Insekten eingehen und befruchtet werden. Das Resultat wäre unter ungünstigen Umständen ein undefinierbares, missgebildetes Gewächs.
Alle unsere Kulturpflanzen tragen auch nach Jahrhunderten der Kultivierung in sich immer noch die Neigung, wieder zu ihrer Ursprungsform zurückzukehren.

Deswegen überlässt man die Samenzucht vorzugsweise Betrieben, die sich darauf spezialisiert haben. Aber Samenzucht ist nicht gleich Samenvermehrung und wer die Zeit und die Nerven hat, kann sich in letzterem gerne darin versuchen. Wer allerdings einen Gemüsegarten bewirtschaftet, der weiß, dass es auch ohne Experimente schon genügend Misserfolge zu verzeichnen gibt. Größte Aussicht auf einen Ernteerfolg bietet daher käuflich erworbenes Saatgut von zugelassenen Herstellern.
Leider hat sich in den letzten Jahren durch das Internet sehr viel Halbwissen verbreitet, welches sich bis hin zu einer Verschwörungstheorie über die Eliminierung „alter Sorten“ ausgewachsen hat. „Alte Sorten“ werden nicht vermehrt und gehandelt, weil sie sich gegenüber anderen Sorten nicht durchgesetzt haben. Vielleicht haben sie mit ihrem Geschmack nicht den Zeitgeist getroffen, vielleicht waren sie in der gärtnerischen Praxis zu anfällig und zu pflegebedürftig. Aber davon an anderer Stelle mehr.
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Aus gekauftem Saatgut im eigenen Garten gezogenes Gemüse ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Treibhausgemüse aus dem Supermarkt. Es sind weder für die Haltbarkeit noch für die Transportfähigkeit speziell gezüchtete, sondern alt bewährte Sorten wie „Harzfeuer“ oder „Stuttgarter Riesen“.
Diese Sorten sind mindestens genauso alt wie die vielfach beweinten „alten Sorten“, die angeblich dem Untergang geweiht sind und dessen Saatgut nun von rebellischen Aluhut-tragenden Vorstadtgärtnern während der Vollmondnächte in geheimen Zirkeln getauscht wird. Ironie off.
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Es steht jedem frei, „alte Sorten“ zu erhalten, dessen Saatgut zu vermehren und es auch zu verkaufen. Allerdings braucht es dafür eine Zulassung und das ist auch gut so. Denn die Zulassung garantiert, dass in den Tütchen nicht irgendetwas drin ist, sondern keimfähige Samen, aus denen Pflanzen mit den Eigenschaften wachsen, für die man bezahlt hat. Es ist schlicht und ergreifend praktizierter Verbraucherschutz und keine Drangsalierung von „denen da oben“.
Wie vermehrt man Saatgut?
Im Prinzip ist nichts weiter zu tun, als aus den Früchten, Schoten oder dem verblühten Samenstand die Samen zu entnehmen. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn wir können von außen die Elternschaft nicht erkennen. Um nicht völlig im Dunkeln zu tappen, was aus diesen geernteten Samen einmal wachsen wird, muss man im Vorfeld Sorge dafür tragen, mit welchen Pollen das Stigma befruchtet wird.
Wenn man nur eine Tomatensorte in einem Gewächshaus hat, ist eine Verkreuzung relativ unwahrscheinlich, solange die Tür zu ist und keine andere Sorte in der Nähe blüht. Zwar sind Tomaten selbstbefruchtend, aber wenn eine Hummel am Pollen naschen will, dann tut sie das auch, wenn die Möglichkeit besteht. Und schon kann es zu ungewünschten Ergebnissen kommen.

Welche Samen kann man selber ziehen?
Tomaten und Paprika sind die Gemüsesorten, die sich für die Vermehrung des Saatguts für Hobbygärtner besonders eignen und entsprechend beliebt dafür sind. Den Samen entnimmt man aus gesunden, leicht überreifen Früchten. Relativ einfach wären noch Erbsen zu nennen. Kaum jemand baut mehrere Sorten an, wenn überhaupt. Schließlich kostet eine Dose Erbsen beim Discounter noch nicht einmal einen Euro.
Bei zweijährigen Pflanzen (die meisten Kohlarten), Zwiebeln und Möhren wird es schon kompliziert, weil die Pflanze überwintern muss. Entweder belässt man sie bei geringen Überlebenschancen im Boden, oder man gräbt sie aus und lagert sie kühl und trocken. Der Aufwand hierfür übersteigt größtenteils den Nutzen. Auch dürfte die Auswahl an gesunden Pflanzen bei einem Hobbygärtner überschaubar sein.
Gewinnt man das Saatgut selbst aus samenfesten Sorten, so wird sich der Ernteertrag Jahr für Jahr reduzieren, wenn nicht für frisches Erbgut gesorgt wird. Der Ernteertrag ist ohnehin geringer als bei gekauftem Saatgut von zertifizierten Betrieben.
Um Saatgut erfolgreich zu vermehren, braucht man als Ausgangsbasis gesunde, kräftige Pflanzen. Und nicht jede Gemüseart gedeiht in jedem Boden gleich gut. Deswegen hat man schon vor über hundert Jahren Saatgut in besonders geeigneten Gebieten vermehrt, vornehmlich in Sachsen. Quedlinburg oder Erfurt waren über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Sind selbst gezüchtete Zucchini giftig?
Bei dem im Handel erhältlichen Saatgut für Gurken, Kürbisse und Zucchini ist der Bitterstoff Cucurbitacin durch Züchtung weitgehend deaktiviert, aber genetisch immer noch vorhanden. Dieser Bitterstoff ist toxisch und kann bei Aufnahme einer größeren Menge (Wikipedia meint 300 mg) tödlich sein. Samen aus diesen Kürbisgewächsen selbst zu gewinnen birgt also ein gewisses Risiko.
Fazit
Saatgut für die nächste Gartensaison aus dem eigenen Anbau zu gewinnen, hört sich zunächst einmal verlockend an. Doch birgt es ein wesentlich höheres Risiko für eine kleinere Ernte bis hin zum Totalausfall als bei gekauftem Saatgut.
Es gibt ja neben den üblichen Anbietern aus den Gartencentern und Baumärkten auch Anbieter, die sortenreines, samenfestes Saatgut anbieten. Schaut man sich die Internetauftritte bei den größeren Versendern von Bio-Saatgut einmal an, stellt man fest, dass es sich dabei von Zusammenschlüssen von mehreren Dutzend „Herstellern“ handelt.
Der Grund hierfür ist die Spezialisierung, denn Saatgut zu gewinnen macht für die meisten Gemüsesorten nur Sinn, wenn man es in großem Stil betreibt. Wer es allerdings nur als Hobby oder aus Neugier betreiben will und dabei die Risiken in Kauf nimmt, dem wünschen wir gutes Gelingen.